Was ist eigentlich Osteopathie?

Osteopathie ist eine rein manuelle Medizin. Das heißt, die Werkzeuge des Therapeuten sind ausschließlich seine Hände. Mit ihnen tastet er Schmerz, fühlt, streichelt, übt sanften Druck aus, lockert und löst Blockaden.

 

Der menschliche Organismus gleicht einem großen Uhrwerk mit zahllosen Zahnrädern, die alle ineinander greifen und in der Gesamtheit funktionieren. Hakt es an einer Stelle, führt das zu Komplikationen im gesamten System. Der Mensch reagiert mit Schmerzen, die sich falsch oder nicht behandelt häufig in chronische Beschwerden umwandeln. Mit einem speziellen naturheilkundlichen Heilverfahren - der sogenannten Osteopathie - kann oft geholfen werden.

 

Leben ist Bewegung

Mit den Händen tastet der Therapeut den Schmerz und rückt vorsichtig zurecht, wo ein Wirbel, ein Nerv, ein Gelenk blockiert, ein Organ verspannt ist, Muskeln verkrampft und damit in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt sind. Die Grundüberzeugung der Osteopathen ist nämlich, dass alles Leben Bewegung ist, was sich bis in die kleinste Zelle des menschlichen Organismus erstreckt. Starre Verbindungen gibt es im menschlichen Körper nicht. Tatsächlich ist unser Organismus in all seinen Teilen beweglich. Und das nicht nur in den Gelenken, sondern auch dort, wo innere Organe aneinander grenzen. Ist die Bewegungsfreiheit irgendwo an diesen Berührstellen gestört, was  durch eine Entzündung oder eine Verspannung der Fall sein kann, sind Schmerzen oder gar Krankheiten vorprogrammiert.

Das Ziel der Osteopathie ist es, die Beweglichkeit zu erhalten oder wieder herzustellen. Sie gliedert sich in drei Teilgebiete:
1. Die Gesamtheit der Gelenke und Knochen (osteoartikulärer Bereich).
2. Die inneren Organe und deren Zusammenhänge zum Gesamtorganismus (visceraler Bereich).
3. Die Verbindung zwischen Schädel- und Kreuzbein (cranio-sacraler Bereich)

Der Begründer der Osteopathie, der amerikanische Arzt Dr. Andrew Taylor Still, entwickelte die Methode schon vor über 100 Jahren. Dr. Still war zu seiner Zeit mit den medizinischen Kenntnissen und Methoden nicht einverstanden. Seine Überzeugung lautete, " dass Gott den Menschen so gut geschaffen hatte, dass man weder etwas hinzufügen, noch etwas wegzunehmen bräuchte".

Still hielt es für besser, in genauer Kenntnis der Anatomie und Physiologie des Körpers mit dem Patienten zu arbeiten und dem Organismus lediglich Anstöße zur Anregung der inneren Heilkraft zu geben, wobei der Therapeut sich als eine Art Mechaniker versteht, der das komplizierte Uhrwerk, den menschlichen Organismus wartet, aber selbst nicht tiefgreifend eingreift. Die Selbstheilungskräfte des Körpers erledigen die eigentliche Arbeit. Spritzen und Medikamente gibt es beim Osteopathen deshalb nicht, aber auch kein ruckartiges einrenken wie beim Chiropraktiker.

 

Ursachen ergründen

Nicht nur die akuten Beschwerden gilt es also mit Hilfe der Osteopathie zu beheben, sondernden Ursachen auf den Grund zu gehen. Symptome entwickeln sich dann, wenn der Organismus nicht mehr in der Lage ist, die Gesamtheit der vielen einzelnen Störungen (die Osteopathen sprechen von Dysfunktionen) zu beheben. Am schwächsten Glied in der Kette kommt es dann zum Problem, zur Krankheit oder zum akuten Schmerz. Dabei geht der Organismus ganz hierarchisch vor, das heißt lebenswichtige Bereiche und innere Organe müssen mit höchster Priorität geschützt werden. Dazu gehören Atmung, Herz und Kreislauf, Fortpflanzung, Verdauung und Ausscheidung. Dabei versteht sich die Osteopathie nicht als Notfallmedizin, und kann die schulmedizinische Behandlung nicht grundsätzlich ersetzen.

Viele Haltungsveränderungen oder Schmerzen sind im wahrsten Sinne des Wortes nur "vorgeschoben", um lebenswichtige Bereiche zu schützen. Dazu gehören zum Beispiel Kopfschmerzen oder Rückenschmerzen. Sie können osteopathisch ebenso behandelt werden wie Schiefhals, Hexenschuss und Sportunfälle oder chronische Gelenkerkrankungen. Aber auch bei Hörsturz und daraus folgenden Ohrgeräuschen (Tinnitus), Verdauungsstörungen, Blasenschwäche, Heuschnupfen oder Asthma, Kreislaufschwierigkeiten und Menstruationsschmerzen, Nervosität, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Zähneknirschen und Schweißausbrüchen helfen die gekonnten Grifftechniken oftmals.

Leidet der Patient unter immer wiederkehrenden Nasennebenhöhlen- und Stirnhöhlen-vereiterungen, prüft der Osteopath, ob die betroffenen Bereiche ausreichend gut belüftet, oder ob die Abflusswege sowohl der Venen und Arterien, aber auch der Lymphe behindert sind. Er untersucht außerdem die Halswirbelsäule, den Brustkorb ns das Zwerchfell, die alle mit den Beschwerden zu tun haben können. Sogar Blähungen im Dickdarm können zu Problemen im Bereich der Atemwege führen. Dies gilt es dann zu beheben.

Die erste Therapie beginnt denn auch mit einer genauen Untersuchung des Patienten: Wie steht, geht und sitzt er? Wie hält er sich? Dann wird der Körper abgetastet: Wie beweglich sind die Gelenke? Was kann die eine Körperseite, die andere dagegen nicht?

Eine Stunde dauert die Behandlung, und zuweilen genügt eine einzige Sitzung. Die Kosten für eine osteopathische Behandlung (etwa 60 bis 180 Mark) werden nicht von gesetzlichen Krankenkassen übernommen.

Einen Osteopathen in ihrer Nähe finden sie auf der Therapeutenliste des Verbandes der Osteopathen, Untere Albrechtstr. 5, 65185 Wiesbaden. Bei Anfragen bitte einen frankierten Rückumschlag beilegen

Auszug aus Artikel von Ulrich Rückert in Ausgabe April 2000 Reformhaus KURIER

 

Behandlungsbeispiel
Entnommen der Broschüre “Osteopathie” des Verbandes der Osteopathen Deutschland e.V. in der 6. Auflage

Frau K., 36 Jahre, mit Hauptdiagnose Ischialgie (Ischiasschmerz) im rechten Bein
 

Bildgebend zeigt sich zwischen dem untersten Lendenwirbel (L5) und dem Kreuzbein eine diskrete Bandscheibenvorwölbung und ein leicht verdrehtes Kreuzbein. Diese stehen offensichtlich in unmittelbarem Zusammenhang mit den Symptomen (Irratationsschmerz am Rücken, ausstrahlend in den hinteren und seitlichen Bereich des Oberschenkels und des Gesäßes; deutliche Verstärkung beim Husten oder Pressen). Die Schmerzsymptomatik ist pseudoradikulär, d.h. keiner bestimmten Wirbelsäulenetage, bzw. von dort ausgehenden Spinalnerven zuzuordnen. Alle neurologisch relevanten Tests fielen negativ aus.

Bei der ausführlichen Anamnese gibt die Patientin an, vor einigen Jahren bei einem Autounfall ein Schleudertrauma erlitten zu haben. Sie berichtet außerdem von einer operativen Entfernung des rechten Eierstocks nach akuter Entzündung. Desweiteren zog sie sich in ihrer Schulzeit eine Sprunggelenksfraktur am rechten Fuß zu. Gegen Ende der ersten Stunde erwähnt die Patientin noch, daß sie sich gegenwärtig in kieferorthopädischer Behandlung zur Bissregulierung befindet. Sich häufende Migräneanfälle im Bereich der rechten Schläfe, gibt sie als neuestes und immer im Zusammenhang mit den Ischiasschmerzen auftretendes Symptom an. Weitere Anamnesepunkte (Rauchen, Alkohol, Medikamente, etc.) waren ohne Befund.

Grobe Auswertung:
Es fiel zunächst auf, dass sich bei der Patientin alle Angaben auf die rechte Seite beziehen. Desweiteren schienen die angesprochenen Punkte sehr dezentral und vor allem nicht im Bereich der Schmerzen zu liegen. Und dennoch konnten Zusammenhänge aufgrund folgender funktioneller Überlegungen konstruiert werden.

Schleudertrauma:
Eine plötzlich beschleunigte Einwirkung im Kopf- und Halsbereich kann zu anhaltenden Fehlstellungen oder Blockierungen sowohl im Halswirbel- als auch im Kopfbereich geführt werden (z.B. Kiefergelenk). Früher oder später muß die Wirbelsäule und damit auch der lumbale (untere) Bereich Kompensationsaufgaben übernehmen.

Eierstockentfernung:
Interne Vernarbungen, die von Mensch zu Mensch individuell verschieden ausgeprägt sind, können durch ihren mechanischen Zugcharakter umliegendes Gewebe und damit schließlich auch das Kreuzbein zu sich ins Innere ziehen. Wieder erfolgt eine Kompensation im lumbalen Bereich.

Bissregulierung:
En Fehlbiss führt in der Regel zu einseitigen Belastungen des Unter- bzw. Oberkiefers, die sich über den ganzen Kopf und schließlich bis in die Wirbelsäule fortpflanzen können.

Kopfschmerzen:
Da die Kopfschmerzen noch nicht lange, sehr lokal und im Zusammenhang mit den Lumbalgien auftreten, könnten auch hier Zusammenhänge, z.B. über die Gehirnhäute bestehen.

Sprunggelenksfraktur:
Durch jahrelange Fehlbelastung entwickelt sich eine dezente orthopädische Fehlhaltung, die primär im unteren Bereich der Wirbelsäule aber auch im Kreuzbein-Darmbeingelenk kompensiert wird.

Osteopathische Behandlung:
Diese Überlegungen sind rein theoretisch und damit allein nicht sehr aussagekräftig. Um sich in diesem komplexen fall zu orientieren, bedurfte es des Studiums aller vorliegender Unterlagen und einer eingehenden manuellen Untersuchung. Durch die bestehenden mechanischen Gewebespannungen ermittelte der Osteopath zunächst eine der Hauptursachen. In diesem Fall handelte es sich um den rechten Unterbauch. Mit visceralen (die inneren Organe betreffenden) Techniken wurde die Mobilität des internen Narbengewebes verbessert. Danach (dritte Behandlung) wanderte der Hauptgewebezug zum Hinterhaupt, mit anderen Worten, das Haupteinflussgebiet im Unterbauch war weitestgehend beseitigt, so dass der nächststärkere Ursachenherd zum Vorschein kam.
Die Behandlung wurde am Hinterhaupt weitergeführt, bis auch dieser Bereich seinen Einfluß verloren hatte (achte Behandlung). Bereits hier berichtete die Patientin über eine wesentliche Besserung der Schmerzsymptomatik. Das rechte Sprunggelenk stellte sich als kleinster Faktor dar und wurde in der neunten, bzw. zehnten Sitzung behandelt.

Nach Abschluss der Bissregulierung wurden noch beruhigende Techniken für Kiefergelenk und umliegende Gesichtsknochen durchgeführt (zehnte Behandlung).
Die Patientin wurde sechs Wochen nach der letzten Behandlung erneut zwei Stunden wegen leichter, wieder aufkeimender Migräne am Schädel und am Kiefer behandelt. Nach der kieferorthopädischen Behandlung mussten sich die Schädelknochen erst an den neuen Biss gewöhnen und dies kann nicht selten erst Wochen später zu migräneartigen Kopfschmerzen führen. Nach insgesamt 12 Behandlungen war die Patientin bezüglich ihrer zu Beginn festgestellten Symptomatik beschwerdefrei.

Wichtige Anmerkung:
Es handelt sich um ein authentisches Behandlungsbeispiel mit optimalem Therapieerfolg. Der Grad dieses Erfolges variiert in der Osteopathie, wie in allen Therapieformen, und hängt von vielen Faktoren ab. Im o.a. Fall handelte es sich ausschließlich um funktionelle Störungen, d.h. Störungen bei denen die einzelnen Strukturen an dich intakt und kompensationsfähig, das Zusammenspiel dieser Gewebe aber gestört war.
Desweiteren bestanden keine akuten Verletzungen, Entzündungen oder ernste Erkrankungen. Einen entscheidenen Anteil am Erfolg hatte aber auch die Compliance der Patientin, d.h. ihr fachliches Interesse und ihre Bereitschaft zu Eigenwahrnehmung, ihre Offenheit gegenüber der Osteopathie und ihre aktive Mithilfe, sowie eine unauffällige psychische Verfassung.

 

Kraniosakrale Osteopathie

Der Begriff ist aus dem Griechischen abgeleitet (os = Knochen, pathos = Krankheit) und bedeutet “Krankheit durch den Knochen”. Er soll zum Ausdruck bringen, dass jegliche Krankheit mit einer Veränderung am Bewegungsapparat einhergeht.

Grundlage der Behandlung ist die Annahme, dass jegliche Beschwerden des Menschen, groß oder klein, mit einem Bewegungsverlust im Körper verbunden sind. Mit geschulten Händen ertastet der Osteopath kleinste Bewegungseinschränkungen und bearbeitet diese, um dem Gewebe seine uneingeschränkte Funktion wieder zu ermöglichen.

Das Gedankengebäude der Osteopathie basiert im wesentlichen auf vier Grundsätzen.

Die vier Grundsätze der Osteopathie

1. Leben ist Bewegung
Ständige Bewegung kennzeichnet alles Lebendige. Bewegung ist Ausdruck von Lebenskraft, die sich als Funktionieren des Körpers äußert. Die Beweglichkeit bezieht sich nicht nur auf Gelenke, Muskulatur und Sehnen, sondern auch auf die freie Bewegung der inneren Organe mit der Atmung, Herzschlag, Verdauungstätigkeit sowie Blut- und Lymphzirkulation. Eine Störung der Beweglichkeit beeinträchtigt die Organfunktionen und führt zu Erkrankungen.

2. Der Körper ist eine Einheit
Gesundheit und Vitalität des Gesamtorganismus beruht auf einem harmonischen Zusammenspiel all seiner Teilbereiche. Dysfunktionen eines Organs lösen eine Kettenreaktion aus und können Irritationen anderer Organsysteme verursachen. Somit bedarf es einer Harmonisierung des Ganzen, um einen Teil des Körpers wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Die psychische Verfassung und der soziale Aspekt des Menschen sind ebenso unzertrennbar mit dem Zustand seiner Gesamtverfassung verknüpft.

3. Die Autoregulation des Körpers bewirkt Heilung
“Der Körper des Menschen wurde als Apotheke Gottes geschaffen mit allen Medikamenten, die Gott in seiner Weisheit für notwendig befand, um die Menschen glücklich und gesund zu erhalten und diesen Zustand wiederherzustellen”, sagt G. W. Northup von der American Osteopathic Association.Durch Normalisierung einer primären Störung des Systems werden Autoregulationsmechanismen ausgelöst und Selbstheilungskräfte mobilisiert. Das Bestreben der osteopathischen Therapie ist, Blockierungen dieser Autoregulation zu lösen. Damit können die individuellen Ressourcen des Organismus aktiviert und die optimalen Bedingungen für den Heilungsprozeß geschaffen werden.

4. Struktur und Funktion beeinflussen sich gegenseitig
Zwischen Struktur und Funktion besteht eine Wechselbeziehung. Die gesunde Struktur der Organgewebe ist die Voraussetzung für ein gutes Funktionieren. Durch die osteopathische Behandlung wir das funktionelle Gleichgewicht des Organismus wieder hergestellt. Damit wird sowohl eine heilende wie auch vorbeugende Wirkung erzielt. Eine gesunde Funktion bewahrt die Struktur vor Schäden.

 

Der osteopathische Weg zur Diagnose
“Die Palpation durch die Finger, der Gedanke durch die Finger, das Sehen durch die Finger sind die einzigen Mittel des Osteopathen, um die Diagnose zu stellen.”          - William Garner Sutherland –

Neben der Anamnese, der klinischen Untersuchung der Organe, der Bewegungsprüfung und neurologischen Tests ist das Palpieren Grundlage der osteopathischen Diagnostik und Behandlung. Die Hand ist mit Abstand das sensibelste Organ des Körpers. Zur Kontrolle der Hände ist im Gehirn ein größerer Bereich belegt als für den gesamten Rumpf mit Armen und Beinen zusammen! Die Wahrnehmungsfähigkeit der Hand zu schulen ist eine wesentliche Aufgabe des Osteopathen.

Zunächst wird die Gewebsbeschaffenheit und Beweglichkeit untersucht. Temperatur, Spannung und Beweglichkeit der Haut sowie die darunter liegenden Gewebe, die Muskulatur, Bänder, Faszien, Knochen und inneren Organe werden geprüft. Durch einfühlsames, konzentriertes Wahrnehmen lässt sich die Befindlichkeit der Gewebe erspüren. Ein Krankheitsgeschehen ist immer mit Veränderungen der Gewebsqualität und Beweglichkeit verbunden. Solche Veränderungen können bereits festgestellt und behandelt werden, bevor die Störung Krankheitssymptome hervorgebracht hat. Somit ist die Osteopathie nicht nur eine behandelnde, sondern vor allem auch eine vorbeugende Heilkunde.

Das Konzept der kraniosakralen Techniken
Osteopathie befasste sich ursprünglich ausschließlich mit Beschwerden des Bewegungsapparates und deren manuelle Behandlung. Der Schädel galt damals als verknöcherte Einheit ohne eigene Beweglichkeit. Die Ausweitung der klassischen Osteopathie auf den Kopfbereich ist der Verdienst von William Garner Sutherland, ein Schüler Andrew Taylor Stills, dem Begründer der Osteopathie. Durch detaillierte anatomische Studien, Experimente am eigenen Körper und feinfühliger Palpation und Beobachtung entwickelte er sein Therapiekonzept. Er gewann Erkenntnisse über das körpereigene Regulationssystem, das für das Gleichgewicht und ein gesundes Funktionieren des Körpers verantwortlich ist. Da der Schädel (Kranium) und das Kreuzbein (Sakrum) eine Schlüsselstellung einnehmen, nannte er sein Konzept kraniosakrale Osteopathie. Neben seinem Praxisbetrieb arbeitete er in einer Kinderklinik. Durch die osteopathische Behandlung konnte er bei vielen Kindern eine erstaunliche Besserung oder eine vollständige Heilung erreichen. Der deutliche Erfolg führte zu einer raschen Verbreitung der Therapie. Trotz intensiver wissenschaftlicher Forschung kann die Wirkung jedoch nur teilweise logisch erklärt werden.

Kranialrhythmus – Puls des Lebens
Allgemein verstehen wir unter der Beweglichkeit des Körpers die Motorik des gesamten Bewegungsapparates, die Atmung, den Herzschlag, etc. Neben diesen großen, deutlich erkennbaren Bewegungen gibt es eine minimale, subtile Beweglichkeit aller Gewebe. Mit einem Rhythmus von acht bis zwölf Zyklen pro Minute streckt sich der gesamte Organismus aus und zieht sich wieder zusammen. Da diese Bewegung der Atmung im gewissen Sinn ähnlich ist, hat sie Sutherland als PRM – primary respiratory mechanism, als primären Atemmechanismus bezeichnet. In Deutschland ist der Begriff Kranialrhythmus am geläufigsten. Der Kranialrhythmus kommt im Körper in folgenden Bereichen zum Ausdruck:

1. Beweglichkeit von Gehirn und Rückenmark
Jede einzelne Nervenzelle nimmt an dem Kranialrhythmus teil, indem sie sich langsam dehnt und wieder zusammenzieht. Die Nervenzellen sind mit ihren Ausläufern mit Abstand die größten Zellen des Körpers (bis zu 1 Meter!). Durch viele hintereinander geschaltete Zellen summieren sich die kleinen Bewegungen, so dass die Bewegungsamplitude des zentralen Nervensystems bis zu einem Zentimeter beträgt. Sehr eindrucksvoll wird dieses Phänomen von John Upledger beschrieben. Bei neurochirurgischen Operationen beobachtete er die deutliche aktive Beweglichkeit der Rückenmarkshäute, selbst unter Narkose. Da in keinem Physiologiebuch davon die Rede ist, veranlasste es ihn, dieses Phänomen näher zu erforschen. Die Spur führte ihn zu Sutherland und der Osteopathie.

2. Fließen des Liquors
Der Liquor cerebrospinalis wird in den Wandbereichen der Hirnventrikel gebildet. Das geschieht in kleinen Wellen, die sich dann über das gesamte Ventrikelsystem und entlang des Wirbelkanals bis zum Kreuzbein fortsetzen. Der pumpenden Fließbewegung des Liquors wird eine große Bedeutung beigemessen, da sie als Impulsgeber des Kranialrhythmus beschrieben wird.

3. Beweglichkeit der Schädelkochen
Die Schädelknochen galten lange Zeit als starres Gehäuse für Gehirn und Sinnesorgane. Tatsächlich ist eine Beweglichkeit im Bereich der Knochennähte vorhanden. Die Knochen selbst weisen eine gewisse Plastizität und Geschmeidigkeit auf, was am Kinderschädel noch am deutlichsten zu spüren ist. Durch sensibles Ertasten oder auch mittels feinster technischer Messmethoden kann festgestellt werden, dass sich die Kopfform mit dem Kranialrhythmus minimal verändert. Die einzelnen Knochen wirken dabei wie Zahnräder zusammen. Die zentrale Achse liegt in der Schädelbasis zwischen Keilbein und Hinterhauptsbein. Spannungen und Dysfunktionen in diesem entscheidenden Bereich beeinflussen den gesamten Organismus. Durch unmittelbare Nähe zur Hypophyse kann das Hormonsystem irritiert werden. Fehlhaltungen des Rückens mit Wirbelsäulenverkrümmung sind eine andere häufige Folge. Ist die Zentralachse der Schädelbasis durch einen Unfall oder durch extreme Kompressionen während der Geburt blockiert, ist eine allgemeine Vitalitätsminderung und Schwäche bis hin zu Entwicklungsstörungen und ausgeprägten psychischen Störungen möglich.

4. Bewegung des Kreuzbeins
Das Kreuzbein wird lateinisch Os sacrale, heiliger Knochen, genannt. Den Namen trägt es zu Recht, da es ein wesentlicher Schlüsselknochen für die gesamte Körperstatik und Motorik ist. Im Kranialrhythmus neigt es sich leicht vor und richtet sich wieder auf. Beim normalen Gehen führt das Kreuzbein eine pendelnde Achterbewegung (Lemniskate) aus. Das stimuliert und kräftigt wiederum den Kranialrhythmus.

5. Bewegung der Hirn- und Rückenmarkshäute
Das zentrale Nervensystem ist in die Hirn- und Rückenmarkshäute wie in Taschen eingebettet. Ähnlich einem Mobile, das aus der Balance gekommen ist, werden Fehlspannungen dieser Bindegewebshäute wie mit Seilzügen fortgeleitet. Diesem Membranensystem kommt eine wichtige Integrationsfunktion der verschiedenen Aspekte des kraniosakralen Systems zu.

6. Bewegung der Faszien
Die Faszien wurden bereits in ihrer Eigenschaft als Umhüllung von Organen im vorherigen Kapitel beschrieben. Über die Faszien breitet sich der Kranialrhythmus im gesamten Körper aus.

Der kraniosakrale Rhythmus dient der Diagnose und Therapie. Durch leichten ruhigen Handkontakt tastet der Osteopath am Kopf des Patienten, in welchem Bereich Spannungen und Dysfunktionen vorliegen. Mit minimalen Impulsen können einzelne Schädelknochen, aber auch innere Strukturen des Schädels behandelt und die Bewegung der Hirnflüssigkeit beeinflusst werden. Das Ziel ist, eine freie Entfaltung des Kranialrhythmus im gesamten Körper zu ermöglichen und damit die Eigenregulation und Selbstheilungskräfte anzuregen.

Erstaunlich ist, wie wenig Kraft nötig ist, um deutliche Veränderungen zu bewirken. Weniger ist mehr – der Unlogik zum Trotz. Liegt ein großes Schiff am Kai, kann ich es auch mit einem noch so kräftigen, ruckartigen Stoß nicht einen Millimeter von der Stelle bewegen. Setze ich mich aber bequem ans Ufer und stütze meine Füße auf dem Schiffsrumpf ab, wird sich das Schiff nach einer Weile wie von alleine langsam von mir wegbewegen.

 

Manuelle Homöopathie

Es gibt zwei Wege, die zur Heilung führen. Alle Therapieverfahren lassen sich dem einen oder anderen Prinzip zuordnen:
- contraria contrarii curentur =   Gegensätzliches werde mit   Gegensätzlichem geheilt
- similia similibus curentur = Gleiches werde mit Gleichem  geheilt

Ein einfaches Beispiel mag den Unterschied veranschaulichen. Bei Fieber lässt sich die Körpertemperatur durch kühlende Wadenwickel senken. Die andere Möglichkeit ist, die Temperatur durch ein heißes Fußbad noch leicht weiter erhöhen. Der Körper reagiert darauf mit einer Gegenregulation und senkt seine Temperatur selbst.

In der Osteopathie werden direkte und indirekte Behandlungstechniken unterschieden. Mit einer direkten Technik wir das Gekrümmte gerade gezogen, das Zusammengestauchte gedehnt, was aus der Mitte geraten ist, zurückgeschoben, usw. Das heißt, das Problem des Körpers wird nach dem Prinzip der gegensätzlichen Therapie behandelt. Zu den direkten Techniken zählen z. B. die Mobilisation mit Impuls oder die Muskel-Energie-Technik.

Bei indirekten Techniken, wie sie bei einer kraniosakralen Behandlung eingesetzt werden, wird hingegen exakt die Fehlspannung oder Fehlstellung des betroffenen Körperbereiches eingestellt. Diese Stellung wird auch Balancepunkt genannt, da sich alle Verspannungen des Gewebes aufzuheben scheinen. Der Patient empfindet das oft als ein schwebendes Gefühl. Rhythmus, Amplitude und Qualität des Kranialrhythmus werden beobachtet. Wird die Stellung still beibehalten, ohne den Balancepunkt auch nur durch eine kleinste Bewegung abzulenken, ebbt der Kranialrhythmus langsam ab und kommt zum Stillstand. Dieser Ruhepunkt wird Stillpunkt genannt. Es ist ein Moment der Selbstorganisation und der Neuorientierung für den Organismus. Die Spannungen des Gewebes scheinen wegzuschmelzen. Der betroffene Körperbereich fühlt sich locker, leicht und warm an. Nach einer kurzen Pause setzt der Kranialrhythmus wieder gleichmäßig und kräftig ein.

 

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